Die Wohnungswirtschaft im Wandel – die TKG-Novelle als Impuls für die Überprüfung des bestehenden Go-to-Market-Ansatzes
V. Kaiser, A. Köhler & O. Soellner
Das Themenfeld rund um die Wohnungswirtschaft beschäftigt uns nun schon seit geraumer Zeit. In Kooperation mit GUTJAHR zeigt HPP im folgenden Artikel bestehende Herausforderungen für Netzbetreiber, Lösungsanbieter und Wohnungswirtschaften auf und stellt Ansätze für eine strategische Neuausrichtung bereit.
Ausgehend von weltwirtschaftlichen Entwicklungen losgelöst von der Corona-Pandemie, veränderten Kundenbedürfnissen im Hinblick auf Telekommunikationsdienstleistungen sowie rechtliche Neuerungen im Kontext der TKG-Novelle müssen sowohl Wohnungswirtschaften als auch Telekommunikationsanbieter sich strategisch neu aufstellen.
Gestiegene Bandbreitenbedarfe in Zeiten von Homeoffice, der Trend des TV-Konsums über Streamingdienste und die verringerte Nachfrage an linearen TV-Diensten bilden die Grundlage für strategische Neuausrichtungen aufseiten der Netzbetreiber, Lösungsanbieter und Wohnungswirtschaften. Bisherige Geschäftsmodelle müssen demnach überdacht und im Hinblick auf kommende Marktentwicklungen neue Handlungsoptionen evaluiert werden.
Die zum 01.07.2024, nach Ende der Übergangsfrist, anstehenden Änderungen im Telekommunikationsgesetz (Wegfall der Umlagefähigkeit der Betriebskosten für Inhouse Kabelnetze und Grundgebühren für die Kabelweiterleitung) stellen Netzbetreiber und Lösungsanbieter vor Herausforderungen und Fragen bezüglich der TV-Versorgung im Bereich der Wohnungswirtschaft.
Die Wohnungswirtschaft befürchtet durch die kommenden Änderungen einen Preisanstieg anlässlich der TV-Versorgung ihrer Mieter. Lösungsanbieter wittern neue Chancen, um neue Produkte und hochwertigeren Content anzubieten und die Mieter werden die neue Freiheit bei der Produkt- und Anbieterwahl nutzen, um das beste Produkt und Preis-Leistungsverhältnis für Ihre Bedürfnisse zu finden.
Abb. 1: Spannungsdreieck Telekommunikationslösungen für Wohnungswirtschaften
Stand heute ist die Abrechnung von TV-Diensten über die (Miet-)Nebenkosten im sog. Sammelinkasso der gängigste Weg der Abrechnung in der Wohnungswirtschaft und betrifft ca. 12 Millionen Mieter in Deutschland. Die Bereitstellung von TV-Diensten im Rahmen der TV-Grundversorgung (meist Kabel TV) erfolgt zumeist über langfristige Verträge zwischen Diensteanbieter und Wohnungswirtschaft.
Vielen Mietern ist bis heute nicht bewusst und wenig transparent, wer der Anbieter Ihres TV-Produktes ist und was sie als Mieter über die Nebenkostenabrechnung für den Dienst bezahlen. Dies wird sich in den nächsten knapp 1,5 Jahren grundlegend ändern. Bis dahin müssen dem Mieter die Kosten vom bisherigen Vertragspartner transparent gemacht werden. Der Mieter hat sodann die Wahlmöglichkeit, den bestehenden TV Versorgungsweg weiter zu nutzen und im Einzelinkasso in eine direkte Vertragsbeziehung zu treten, oder zu kündigen und zu einem alternativen Anbieter seiner Wahl zu wechseln.
Bei genauerer Betrachtung ist die Kundenansprache und zukünftige Vermarktung von TV-Diensten im Bereich der Wohnungswirtschaft nicht trivial. Unter Berücksichtigung des Datenschutzes muss die Kundenansprache im Rahmen des gesetzlich eng gesteckten Rahmens erfolgen. Was Transparenz und Endkundenschutz schaffen soll, wirft viele Fragen hinsichtlich Kundenkommunikation und Vermarktung auf (Ansprache Mieter, vertragliche Ausgestaltung, Laufzeiten, …). Netzbetreiber müssen ihre Kunden aus dem wohnungswirtschaftlichen Segment bei diesen Aspekten unterstützen und passgenaue Lösungen je nach Größe und Geschäftsmodell der Wohnungswirtschaft bereithalten, um eine bestmögliche Kommunikation zu ermöglichen. Als Best Practice ist hierbei insbesondere eine schnittstellenübergreifende und transparente Endkundenkommunikation über die gesamte Customer Journey hinweg anzusehen.
Im Hinblick auf das Produktangebot hängt es heute davon ab, was die Wohnungswirtschaft (Wohnungsbaugesellschaft, Wohngemeinschaft / Verwaltung o.ä.) mit Ihrem Netzbetreiber vereinbart hat. Was dieser technisch, funktional und senderrechtlich leisten kann, definiert bis heute vielerorts das TV-Angebot in der Liegenschaft. Nicht selten buchen Mieter zusätzlich OTT-Produkte oder IPTV-Dienste bei Ihrem Internetanbieter, um TV mit modernen Funktionen, Zugang zu On-Demand Inhalten und Pay-TV nutzen zu können.
Aus Endkunden-Sicht haben sich die Nutzungsgewohnheiten und damit die Anforderungen an ein TV-Produkt in den letzten Jahren jedoch gravierend geändert und gehen oftmals über den Funktionsumfang eines TV-Grundversorgungsproduktes weit hinaus.
Wie der aktuelle Digitalisierungsbericht 2022 (herausgegeben von den Medienanstalten) zeigt, verändert sich das Nutzerverhalten stetig. Während vor einigen Jahren noch fast ausschließlich Sendungen gemäß Programmplan konsumiert wurden, steht heute On-Demand und Streaming deutlich stärker im Mittelpunkt des Kundeninteresses . Mediatheken und On-Demand Angebote der Sender (ARD-Mediathek, ZDF-Mediathek, RTL+, Joyn etc.) machen dem Kunden Inhalte zeitversetzt zugänglich und haben neben den populären Streaming Diensten (Netflix, Amazon Prime, Disney+ & Co.) dafür gesorgt, dass 2022 bereits knapp 1/3 aller TV-Inhalte zeitversetzt genutzt wurden. Der Trend zu On-Demand wird sich laut Prognosen in den nächsten Jahren, speziell bei den Altersgruppen zwischen 14 und 39 Jahren, weiter fortsetzen und durch die inzwischen verfügbaren non-linearen Funktionen bei öffentlich-rechtlichen und privaten Sendergruppen sowie die wachsende Anzahl an Streaming Diensten noch verstärken.
Neben dem Trend zu On-Demand Nutzung verlagert sich laut Prognosen die Nutzung mehr und mehr vom Wohnzimmer, wo Highlight-Events mit der ganzen Familie konsumiert werden (zukünftig relevant für Sportevents, Live-Events, Blockbuster Filme), hin zu Apps auf dem Smartphone, Tablet und anderen Streaming Geräten, die überall im Haushalt und von jedem Familienmitglied anders genutzt werden wollen.
Die Veränderung des Nutzerverhaltens, der Trend zu Streaming Diensten und die steigenden Ausgaben für Content (im Durchschnitt nutzt jeder Haushalt heutzutage zwei Streaming Dienste) hat bereits heute merkliche Auswirkungen für Netzbetreiber und Lösungsanbieter.
Neue Trends und Nutzungsgewohnheiten im TV-Segment bringen weitere Aspekte mit sich, die eine Anpassung des Produktangebots seitens der Netzbetreiber erfordern. Allen voran steht das Vorhandensein einer leistungsfähigen IP-Verbindung (z.B. über Glasfaser), welche mit ausreichenden Bandbreiten die „neue Art des Fernsehens“ überhaupt ermöglicht. Je nach Anzahl der Endgeräte und Personen im Haushalt gilt es die Zielgruppen optimal zu versorgen. Bundle-Angebote mit Bandbreiten ab 100 MBit/s bieten hier in Kombination mit On-Demand Angeboten oder Abonnements der gängigen Streamingdienste ein vollumfängliches Produktpaket, welches auch die Interessen der jüngeren Zielgruppen adressiert.
Analog zur Ausrichtung der Produkte an die steigenden Kundenbedürfnisse sollten Netzbetreiber zudem die Nutzung von verschiedenen Content-Angeboten vereinfachen , um sie für eine Mehrheit der Zielgruppen attraktiv zu gestalten und hinsichtlich Content-Verträgen / -Rechten in Vorleistung zu gehen. Lösungsanbieter wiederum stehen vor der Herausforderung das komplexe Regelwerk der Sender (Welche Inhalte dürfen wann, wie, wo und mit welchen Einschränkungen zugänglich gemacht werden) umzusetzen, die innovativen Funktionen einfach nutzbar zu machen und den „Content-Jungle“ per Suche, Empfehlungen und Merklisten einfach navigierbar und erlebbar für den Endkunden zu gestalten.
Abb. 2: Bewegtbildnutzung nach Zielgruppen
Die veränderte Nutzung wird am stärksten durch die jüngeren Altersgruppen getrieben , schreitet jedoch bei den älteren Mietern lange nicht so schnell voran. Älteren Nutzern fällt es bereits schwer, sich mit einem neuen Fernseher, einer anderen Fernbedienung oder einem neuem Bedienungskonzept zurechtzufinden. Für diese Altersgruppen ist im Gegensatz zur jüngeren Nutzerschaft eher Kontinuität gefragt, was Lösungsanbieter heute und auch in Zukunft vor einige Herausforderungen stellt, um diesen Spagat zwischen unterschiedlichen Kundenanforderungen zu meistern und mit einem modularen, flexiblen Produktkonzept alle Kundenbedürfnisse bedienen zu können und sich dem Wandel anpassen zu können.
Die oben aufgezeigten strategischen und produktbezogenen Herausforderungen für Wohnungswirtschaften und Netzbetreiber geben einen Einblick auf aktuelle und zukünftige Fragestellungen, die im Zuge der TKG-Novelle für alle Marktteilnehmer von Interesse sein werden.
HPP und GUTJAHR haben in diesem Kontext schon verschiedenste Fragestellungen gemeinsam mit unseren Kunden beantwortet und möchten auch in Zukunft dabei helfen, dass alle Parteien den Wandel positiv für sich gestalten können. Kontaktieren Sie uns hierfür gerne – wir freuen uns Sie zu beraten.
Ansprechpartner
André Köhler
Herr Köhler ist geschäftsführender Gesellschafter bei HPP und hat in über 20 Jahren Beratererfahrung seine umfassende Expertise in diversen industriellen Branchen erworben. Bei HPP ist er Ansprechpartner für die Bereiche Telekommunikation, Energie sowie Banken und Finanzdienstleistungen.
Er ist verheiratet, Vater einer Tochter und ein begeisterter Skifahrer.
Vera Kaiser
Frau Kaiser ist Management Consultant bei HPP und betreut mit ihrer Beratererfahrung vorwiegend Projekte in der Telekommunikationsbranche. Hier beschäftigt sie sich neben Themengebieten rund um den Vertrieb auch mit Projekten im Kontext der Wohnungswirtschaften und TV-Lösungen.
Vera Kaiser hat in Mainz studiert und ist in ihrer Freizeit beim Pilates aktiv.